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Fundamentals: eine regionale Mustersprache?

19.06.2013

Das Master‐Entwerfen von Architekturtheorie im Sommersemester 2013 hatte als Thema Fundamentals (Grundlagen). Fundamentals ist der Titel und das Thema der Architekturbiennale in Venedig nächstes Jahr und wurde von Rem Koolhaas vorgegeben. Dabei geht es eigentlich um zwei Themen: Erstens geht es um die unvermeidlichen, unveränderlichen Elemente die – unterstellt Koolhaas – jeder Architekt ‚anytime, anywhere’ gebraucht, wie: Tür, Boden, Decke, und so weiter. Zweitens geht es um die Evolution der nationalen Architekturen der letzten 100 Jahre, also seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Koolhaas spricht die Vermutung aus, dass sich spezifische und lokale Architekturen im Rahmen der Globalisierung aufgelöst haben und damit nationale Identitäten mehr oder weniger austauschbar geworden sind.

Beide Themen formen seit eh und je der Basis oder den Kern von Koolhaas’ Denken.
Nationale Traditionen machten laut Koolhaas einen Sinn bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges 1914, den er als Anfang der Globalisierung und das Auflösen des Nationalstaates sieht. Jede national oder regional geprägte Tradition nach 1914 wäre eine Erfindung, ein Konstrukt und Propaganda. Sie sollten ständig erneut in Frage gestellt werden.
Schon in ‚Hoe modern is de Nederlandse architektuur?’, ein Kongreß und Buch von 1990, distanzierte Koolhaas sich von einer unterstellt Niederländischen Tradition der Modernen Architektur. 2001 machte er sich lustig über Kritiker, die versuchten der Architektur nationale Züge zuzuschreiben. „I critisize the critics for allowing this „reduction“ to become the initial symbol of a „new“ Dutch architecture, for using it to provide fuel for a campaign of marketing and branding that has found its provisional apotheosis in Bart Lootsma’s SuperDutch, and other recent books. Imagine how we would puke if there were a book called SuperGermans; laugh at SuperBelgians, snicker at SuperFrench, complain about SuperAmericans. This is how brutal this campaign has finally become.“ (Rem, do you know what this is? Conversation Rem Koolhaas with
Herman Hertzberger in HUNCH 3, 2001)
Mit den an Leon Battista Alberti erinnernden Basiselementen der Architektur – Verortung, Gebiet, Kompartimentierung, Mauer, Dach und Öffnung – hat Koolhaas sich eindringlich beschäftigt. Die Mauer, in Form der Berliner Mauer, die Koolhaas während seinem Studium an der AA besuchte und analysierte, wurde zur „Demonstration der Macht der Architektur“. Der Boden, als ‚Generic Plan’ und als Vervielfältigung der Erdoberfläche, wird zur eigentlichen Essenz der Architektur in einer Gesellschaft, die nach immer mehr Dichte verlangt. Alberti’s Treppen werden bei Koolhaas Rolltreppen und Fahrstühle und ermöglichen eine neue Organisation. Diese Elemente formen, gemeinsam mit dem
Raster, die Häuser und die Stadt. Sie sind das einzige, was nach einer Katastrophe von der Stadt übrig bleibt, die Hardware, und diese Hardware ist laut Koolhaas weitgehend ‚Generic’, artmäßig.
Der Text ‚Generic City’ fängt mit der Frage an, ob die zeitgenössische Stadt wie der zeitgenössische Flughafen sei: nur mehr von demselben? Die Schlusssätze von ‚Generic City’ schlagen uns vor, uns einen Hollywood-Schinken über die Bibel vorzustellen. Ganz wie in einem Drehbuchentwurf beschreibt er daraufhin eine mit Einzelheiten überladene („Haarteile, triefend von Klebstoff“ usw.), chaotisch überdrehte Marktszene, in einer Stadt im Heiligen Land. Dann bittet Koolhaas uns den Ton auszuschalten und den Film zurückzuspulen: „Die jetzt stummen aber sichtbar erregten Männer und
Frauen stolpern rückwärts; der Zuschauer sieht nicht länger nur Menschen, sondern beginnt Räume zwischen ihnen wahrzunehmen. Die Mitte leert sich; die letzten Schatten räumen das Rechteck des Bildrahmens – vermutlich unter Beschwerden, doch glücklicherweise hören wir sie nicht. Die Stille wird nun von der Leere verstärkt: Die Kamera zeigt verlassene Buden, auf dem Boden zertrampelter Unrat. Erleichterung…. es ist vorbei. Dies ist die Geschichte der Stadt. Die Stadt besteht nicht mehr. Wir können das Theater verlassen……“ Die Stadt ist in dieser Auffassung eine Bühne, oder wie Koolhaas selbst schreibt, eine Hollywood Studio Parzelle, die jeden Montag eine andere Identität schafft. Ein Bild, das bei Koolhaas’ Vorstellung von den Grundlagen der Architektur vor Augen kommt, ist das von Pompeji, der Römischen Stadt von der nur noch die Essenz übrig geblieben ist, nach der Aschewolke, nach dem Ausbruch des Vesuv im Jahre 79. Seit dem Anfang von OMA taucht der Plan von Pompeji immer wieder als wichtiges Referenzbild in städtebaulichen Studien des Büros auf. Das Roman Operating System, entwickelt mit dem Harvard Project on (what used to be called) the City und 2001 veröffentlicht in MUTATIONS, ist eine Art basale Software die, ausgehend vom Raster der römischen Stadt und seiner Institutionen, die Gründung einer Stadt ermöglichen soll.
Trotzdem hatten aber fast alle Forschungsprojekte von Rem Koolhaas, von China, Singapore und Japan über Lagos bis zu Shopping, eher die Modernität als Programm und als Szenario zum Thema, also eher das, was sich verändert und was flüchtig ist, als die Beschäftigung mit unveränderlichen Grundlagen.
Im Projekt ‚Fundamentals’ wurden Koolhaas’ Ideen und Unterstellungen, anhand eines Ausschnittes von Tirol, kritisch untersucht. Wie verhält die Modernität sich zum Unveränderlichen? Ist es nicht so, dass in einer globalisierten Welt gerade die regionalen Unterschiede wichtiger werden, ja sogar durch die Globalisierung produziert werden? Wie verhalten sich globale, moderne Tendenzen hier zum Wunsch regionale Traditionen zu gestalten? Was sind heute, in einer Zeit, wo technisch so vieles möglich ist, von Riesenüberspannungen bis 3D Printing von Gebäude(teile)n in allen möglichen Formen, die grundlegenden Elemente der Architektur?
Zur Orientierung wurde mit einer Analyse von Texten von einigen der wichtigsten architekturtheoretischen Positionen und Methoden angefangen, die versucht haben, die Architektur auf essentielle Grundlagen zurück zu führen: Leon Battista Alberti, Gottfried Semper, Viollet-le-Duc, Adolf Loos, Le Corbusier, Otto Neurath, Colin Rowe, Christopher Alexander, Raimund Abraham, Peter Eisenman, Aldo Rossi, Bruno Reichlin, Stefano Boeri, Rem Koolhaas selbst und Atelier Bow Wow. Auch Texte zum Kritischen Regionalismus wurden gelesen und sich damit auseinandergesetzt, was der Historiker Eric Hobsbawm ‚Invented Traditions’ nennt.
Anhand dieser Orientierung wurden Entscheidungen für Methoden getroffen, die dafür geeignet waren, die Essenz der (tiroler) Architektur zwischen 1914 und 2014 in Fotos, Zeichnungen und Texten zu erfassen. Das Resultat sind Bücher, die alle zusammen einen großen Katalog bilden, der als Basis für ein Beitrag an der Architekturbiennale 2014 dienen könnte – oder einfach eine Reflexion formt, auf der zeitgenössischen Fundamente der Architektur.

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